Die Gebirgsschützen und der Oberländeraufstand 1705

Am 19. Dezember 1705 forderte das "Tölzer Patent" die Bevölkerung des bayerischen Oberlandes zum bewaffneten Aufstand gegen die österreichisch-kaiserliche Besatzung auf. Es wurde handschriftlich vervielfältigt und durch Boten von Tölz aus an die umliegenden Gerichte und Herrschaften verbreitet. Schon am Abend des 22. Dezember trafen die Tölzer als Erste am vereinbarten Sammelplatz in Hohenschäfltlarn ein. Die Mannschaften aus den anderen Gerichten folgten am 23. Dezember. Innerhalb von vier Tagen nach Ausfertigung des "Tölzer Patents" also konnten die Organisatoren des Oberländer Aufstandes ihr Aufgebot gegen die Besatzer in Marsch setzen.

Das war nur möglich, weil im Oberland von Anfang an alle – die Bauern, die Bürger, die Beamten – mitgemacht haben und weil, jetzt sind wir beim Thema, die erprobte Organisation der Landesdefension (Gebirgsschützen) und ihre Alarmordnung genutzt worden ist, um die Männer "einzuberufen". Die heute noch existierenden oder wiedergegründeten Gebirgsschützenkompanien gehen in Grunde alle auf das von Kurfürst Maximilian I. gleich nach seinem Regierungsantritt 1600 als Landesdefension reorganisierte viel ältere Wehraufgebot der Landbevölkerung zurück, das neben den regulären Soldtruppen jederzeit die Landesverteidigung sichern sollte. Nach dem Tod Maximilians hat das Landesdefensionswesen längere Zeit geruht. Kurfürst Ferdinand Maria hat die Landfahnen, so hießen die nach Landgerichten und Pflegämtern eingeteilten Einheiten mit durchschnittlich 400 Mann, 1664 wiedererrichtet. Mit Erlaß vom 5. Januar 1702 hat Kurfürst Max Emanuel eine Neuorganisierung der Landesdefension angeordnet.

Am weitesten fortgeschritten war dabei die Klosterherrschaft Benediktbeuern. Der Abt ließ eine in 15 Corporalschaften gegliederte Streitmacht zu 520 Mann aufstellen, 434 Mann zu Fuß, 49 Mann zu Pferd, 14 Artilleristen, 10 Jäger und Schützen und 13 Hausbediente als Scharfschützen zum Schutz des Klosters selbst. Vom Kurfürst hatte der Abt die Genehmigung, seine zu den Landfahnen verpflichteten Unter-tanen ausschließlich zum Schutz des eigenen Gebietes zu verwenden. In dieser Erlaubnis kommt der besondere heimatbezogene und rein defensive Charakter der Landesdefension zum Ausdruck.

Diese Landesdefension, aufgeboten von den Gerichten Tölz, Benediktbeuern, Tegernsee, Hohenwaldeck und Aibling mit der Grafschaft Valley und Rosenheim, als "Chur-Bayerische Landts-Defension Oberlandts" bildete im Oberland das organisatorische Grundgerüst des Volksaufstands von 1705. Die Erinnerung an die kurbayerische Landesdefension von 1705 lebt fort in den Gebirgsschützenkompanien im südlichen Oberbayern. Die Kompanien von Kochel und Waakirchen stellen den Bezug sichtbar her durch ihre Bewaffnung mit Hieb- und Stichwaffen, mit gerade geschmiedeten Sensen, mit Morgensternen, Spießen, Hellebarden – eine Bewaffnung, wie sie auch die Landesverteidiger von 1705 hatten. Die Tölzer haben eine "Historische Tölzer Schützenkompanie 1705". Alle fünf Jahre marschiert die Kompanie in der Heiligen Nacht auf den Kalvarienberg, wo seit 1718 als Votivstiftung der aus der Sendlinger Schlacht lebend heimgekehrten Tölzer Bürger und Zimmerleute die Leonhardikapelle steht, um dort der in Sendling Gefallenen zu gedenken. Und die LenggrieserAntlaßschützenkompanie hat beim Ausruck’n nicht nur den Kompaniefahn sondern auch den "Sendlinger Fahn" dabei, der auf der Vorderseite ein Bild der Muttergottes und die Aufschrift "Churbayerische Oberlands Defension" trägt. Bei der Kompanie Gotzing hat sich die "Gotzinger Trommel" erhalten, die in der denkwürdigen Christnacht dabei war. Das Original steht heute im Miesbacher Heimatmuseum. Die Gotzinger rücken immer mit einer orginalgetreuen Nachbildung dieser Trommel aus. So sind die Gebirgsschützenkompanien von heute ein lebendiges Zeugnis des Volksaufsstandes von 1705.

Damit lassen sie es aber nicht bewenden. Bei ihren Kompaniejahrtagen, die den verstorbenen sowie in den Weltkriegen gefallenen und vermißten Mitgliedern zum Gedächtnis alljährlich durchgeführt werden, versäumen sie es niemals, auch der Opfer der "Sendlinger Mordweihnacht" von 1705 zu gedenken. Und jedes Jahr am Vormittag des Heiligen Abends kommen die Gebirgsschützenkompanien des Oberlandes zur Gedenkmesse und zur Kranzniederlegung am Oberländerdenkmal in Waakirchen zusammen.

Unter dem Eindruck der 200sten Wiederkehr des Volksaufstandes von 1705 wurden in München, in Aidenbach, in Kochel, überall im Land 1905 Erinnerungsfeiern durchgeführt. Die Waakirchener aber hatten sich, in ihren Absichten gefördert von Professor Dr. Nepomuk Sepp, zum Ziel gesetzt, den in der Christnacht 1705 Gefallenen ein würdiges Denkmal in Gestalt eines Löwen zu setzen.

Der Entwurf des Denkmals stammt von Konservator Angermair vom Bayerischen Nationalmuseum. Den Löwen hatte Akademiedirektor Reichsrat von Miller modelliert und Kupferplastiker Kiene hatte ihn in Kupfer getrieben. Dieses Verfahren war kostengünstiger als der teure Bronzeguss. Die Bildhauerarbeiten für Reliefs auf dem Sockel wurden von dem Münchner Bildhauer Kaindl ausgeführt. Die Steinmetzarbeiten am Sockel waren den Steinmetzmeistern Wackersberger aus Tegernsee und Kirchmayer aus Bad Tölz übertragen. Die Kosten des Denkmals beliefern sich auf 13.420 Mark. Am 20. August war es soweit. Das Denkmal konnte enthüllt werden. Prinz Ludwig war der Schirmherr, Trachtenvereine, Auer Zimmerleute, Veteranen- und Kriegervereine und Gebirgsschützenkompanien marschierten auf. An die 200 Fahnen wurden gezählt. Als besonders interessant und malerisch fallen auf die Festzugsgruppen der Kocheler, der Lenggrieser, Wackersberger und Jachenauer Schützen.

Fünf Jahre früher schon hatten die Kocheler ihrem legendären SchmiedBalthes, der im Volk heute noch als Anführer der Oberländer Landes-defensoren gilt, das heroische Schmied-von-Kochel-Denkmal errichtet. Auch hier war der patriotisch gesinnte Professor Dr. Sepp die treibende Kraft, die dem großen Vorhaben zum Gelingen verhalf. Die Kocheler Bürger hatten durch Einnahmen aus der Aufführung des Heimatspiels "Der Schmied von Kochel" in den Jahren 1898/99 den Grundstock für die Finanzierung des Standbildes gelegt. Großzügige Spenden der Kocheler Villenbesitzer schließlich haben zur Realisierung des geplanten Denkmalbaus verholfen. Der Münchener Bildhauer Anton Kaindl hat dann den Auftrag bekommen, die Figur des "Balthes" zu modellieren. Und der Kupferplastiker Hygin Kiene hat das Standbild in Kupfer getrieben. Zur Enthüllungsfeier am 27. Mai 1900 waren mehr als 100 Vereine und Deputationen mit 95 Fahnen nach Kochel gekommen, Gebirgstrachtenvereine, Schützenvereine, Veteranenvereine. Ganz besonderes Aufsehen erregten die alten "Gebirgsschützen-Kompanien von Gaißach, Lenggries und Wackersberg".

Als 1985 nach einer notwendigen Restaurierung des Denkmals, dessen Wiederaufstellung gefeiert worden ist, da waren diese Gebirgsschützenkompanien auch wieder dabei. Die Erinnerung an den Aufstand und die bittere Niederlage der Oberländer 1705 lebt bei den Menschen im Oberland, und sie lebt und wird gelebt bei den Gebirgsschützen.

Martin Haberfellner

 

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